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Resonanz: Meine Reise zum Erpro­bungsraum „Wir sind Nachbarn“ in Nöbdenitz

Die Erpro­bungs­räume werden in ihrer Entwicklung von einem Begleit­netzwerk betreut um einen Blick von und nach außen zu ermög­lichen und Lern­erfah­rungen besser sichtbar zu machen. Im Idealfall finden diese Reso­nanz­ge­spräche vor Ort statt. Die Beglei­terin des Erpro­bungs­raumes “Wir sind Nachbarn”, Sandra Pries, machte sich im April auf den Weg nach Nöbdenitz und hat ihre Reise für uns schriftlich festgehalten:

Im Vorfeld meines Besuchs nahm ich mit Herrn Göthe Kontakt auf. Ein erstes Treffen wurde vereinbart und Herr Göthe bemühte sich um weitere Teil­neh­mende. So fuhr ich am 13.04.2023 Richtung Schmölln, von meinem Heimatort im sächsischen Vogtland nur einen Katzen­sprung entfernt, in das Thüringer Vogtland. Diese Region kenne ich bisher nur vom Vorbei­fahren, die Burg Poster­stein, gut von der A4 aus sichtbar, macht neugierig und hat schon seit jeher mit ihrem beson­deren Erschei­nungsbild auf sich aufmerksam gemacht.

Ich möchte möglichst unvor­ein­ge­nommen, mit dem unver­stellten Blick von außen auf „meinen“ Erpro­bungsraum zugehen. Aus diesem Grund habe ich mich nur spärlich infor­miert, habe die Unter­lagen nur überflogen und bin gespannt auf die Menschen, wie Sie mich empfangen, wer dabei ist und wie es werden wird. Meine Vorbe­reitung galt vor allem meiner inneren Haltung, mit der ich meine Rolle als Reso­nanz­ge­berin ausfüllen möchte, eine Haltung von Neugier, posi­tiver Zu Gewandtheit, schwe­bender Aufmerk­samkeit und dem Bewusstsein, dass ich Menschen begegnen werde, die mit sehr viel Enga­gement versuchen, die Relevanz von christ­lichem Glauben in unserer Gesell­schaft zu leben, zu erhalten und zu gestalten.

Mein Weg führt mich durch Felder und Wiesen, vorbei an den typi­schen Bauernhöfen im Vogtland, mitten hinein in ein kleines Örtchen. Ich bin überrascht, dass ich gleich neben der Kirche einen einla­denden und bequemen Park­platz finde. Gleich gegenüber des Kirch­leins lockt ein Banner mit der Aufschrift: „TRETEN SIE EIN – COME IN“ „HIER SIND SIE WILL­KOMMEN – YOURE WELCOME HERE“ in den Farben und mit dem Logo der EKM.

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Ich reali­siere sofort, dass ich hier richtig bin und meine Erwartung und Spannung steigt. Ohne groß zu überlegen, welche Straße und Haunummer Herr Göthe als Treff­punkt ange­geben hatte, betrete ich den Hof der Anlage. Mich begrüßt ein österliches, liebevoll geschmücktes Ambiente eines histo­ri­schen Hofes mit einer Wiese, einem Backofen, einer Freilichtbühne und mehreren Gebäuden im Fach­werkstil. Gerade gießt eine Frau die Frühlingsblumen und schenkt mir ein Lächeln – wie schön, ich werde erwartet und bin wirklich will­kommen. Sie stellt sich vor – Frau Opitz, wie ich aus den Unter­lagen weiß, die Gemeindesekretärin und Koor­di­na­torin und gute Seele und…und …und. Sie weist mir den Weg, und kommt gleich nach.

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Auch in dem schön sanierten Fachwerkgebäude fühle ich mich gleich wohl. Herr Hahn (GKR) und Frau Tscheu­schner (GKR Vors.) erwarten mich in einem schönen hellen Raum, der Tisch ist gedeckt…, farben­frohe und anspre­chende Plakate vom diesjährigen Jugend­kreuzweg, ordentlich gerahmt, wecken nach einer kurzen Begrüßung meine Aufmerksamkeit.

Sofort kommen wir ins Gespräch über Gott und die Welt. Nun trifft auch unmit­telbar Herr Göthe zur Begrüßung ein. Ohne ein Gefühl von Fremdheit oder Reser­viertheit haben wir sofort unzählige Anknüpfungspunkte. Die Energie dieser Menschen ist spürbar, ich bin an einem leben­digen, christ­lichen Ort – wie schön.

Obwohl die Gespräche schon in vollem Gange sind, halten wir inne, um dann in eine Begrüßungsrunde zu starten, in der ich mich kurz vorstelle und dann an die Teil­neh­menden weitergebe. Gleich­zeitig bitte ich sie, mir ein Bild als Metapher zu beschreiben, wie Sie Ihren Erpro­bungsraum sehen.

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  • Wir gestalten eine Mitte – eine Mitte, an der man nicht nur teil­haben kann, sondern auch kreativ sein kann und soll – eine Mitte zum Mitmachen – der histo­rische Pfarrhof als geistlich-kultu­reller Mittel­punkt – gerahmt von unserer 1000jährigen Eiche, dem Friedhof und der Kirche.
  • Unser Pfarrhof ist ein Zentrum zum Wahr­nehmen und Treffen – Die „Kirche“ geht auf die Menschen zu…
  • Wir möchten eine gefüllte Kirche mit inter­es­sierten Menschen
  • Ein gedeckter Tisch – bei uns gibt es immer etwas zu Essen – die Menschen kommen, essen und erzählen.
  • Wir wollen alle erreichen und mitneh­men­Schon sind wir mitten im Plaudern über den Alltag, das Gemein­de­leben, die Schwie­rig­keiten in der Corona-Zeit und die erfolg­reichen Bemühungen, in dieser Krise die Menschen nicht allein zulassen, als Gemeinde zusam­men­zu­stehen und füreinander da zu sein. „Wir versuchen viel, die Menschen zu erreichen. Wenn es trotzdem nicht ange­nommen wird, dann ändern wir die Stra­tegie so, dass es den Bedürfnissen der Menschen entspricht“ – ich denke: „Was für eine Expe­ri­men­tier­freude und welche Größe, die eigenen Ideen auch schnell wieder fallen zu lassen oder kreativ zu verändern, wenn es den Menschen in der Gemeinde nicht dient.“.

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So entsteht aus dem Koch­un­ter­richt eine „Schnippel-Disco“ für die Jugend­lichen und dem Tanzen für Senioren ein Tanzen mit Andacht – geplant ist auch noch ein Rollator- Tanzen: “Wir wollen die Senioren aus der Verein­samung holen.“ Ich merke: hier sprüht es von Ideen und frage nach, wie das ist mit neuen Ideen, wer bringt sie ein und wer setzt sie um. „Neue Ideen sind ausdrücklich erwünscht. Bei uns darf alles vorge­schlagen werden. Die Vorschläge werden dann geprüft und disku­tiert. Was aus der Sicht der Gemeinde Sinn macht, wird umge­setzt und auspro­biert, als Prototyp – dann sehen wir weiter.“

Nun inter­es­siert mich besonders, an welchen Aufgaben der Erpro­bungsraum gerade arbeitet, was die nächsten Heraus­for­de­rungen sind. Ich bekomme mehrfach gespiegelt, dass es in der eigenen Wahr­nehmung keinen Unter­schied zwischen Gemeinde und Erpro­bungsraum gibt – alles ist ein Erproben und Expe­ri­men­tieren. „Gerade in den Krisen­zeiten von Corona und seit langem schwin­denden Einwohner- bzw. Gemein­de­glie­der­zahlen (-30%) muss man auspro­bieren, erfin­de­risch und beweglich sein.“ Ich erfahre, dass die große Heraus­for­derung in der nächsten Zeit der Aufbau einer guten Jugend­arbeit sein wird. Diese ist aus verschie­densten Gründen in den letzten Jahren zusam­men­ge­brochen. „…aber das Pizza­backen im histo­ri­schen Backofen auf dem Hof, könnte ein neuer Anfang sein. Das mögen dieJugendlichen“.

Auch die aus der Not der Corona-Zeit heraus entstandene Segnung der Schulanfänger, anstatt dem „welt­lichen“ Zuckertütenfest ist ein Licht­blick. „Wir erkunden, was die Jugend­lichen brauchen, um christ­liche Gemein­schaft zu erleben – ein „Spie­lefant“ – ein PKW Anhänger mit verschie­densten Outdoor-und Spielgeräten für die flexible

Nutzung in den Gemeinden und zum Ausleihen ist das nächste Projekt.“ Auch ist mittel­fristig ein Probelauf für das Projekt „Holz­bau­welten“ vom Bibel­le­se­verband ange­dacht. Noch werden weitere Gemeinden gesucht, die sich eine Betei­ligung vorstellen können, um die Kosten gut reali­sieren zu können.

Grundsätzlich nehme ich wahr, dass es beim Vordenken, Planen und Umsetzen immer auch um das große Ganze geht, die Nach­bar­ge­meinden, den Kirchen­kreis, Koope­ra­tionen mit der poli­ti­schen Gemeinde, Vereinen, Kinder­garten, Schule und sogar einem Nachbar- erpro­bungsraum in Altenburg. Die Bemühungen sind vielfältig, treffen aber nicht immer auf Interesse. Auch gab es in der Vergan­genheit Span­nungen, mit denen umge­gangen werden musste. Es galt unter­schied­liche Erwar­tungen zwischen der Gemeinde und dem Pfarrer abzu­gleichen und in das Gemein­de­leben zu inte­grieren. In meiner Wahr­nehmung gehen die Betei­ligten offen und konstruktiv mit den Span­nungen um.

Die Gemein­de­mit­glieder sind sich Ihrer Schätze bewusst und versuchen diese bestmöglich zu nutzen, um ein leben­diges Gemein­de­leben zu gestalten, Menschen aus allen Schichten, Lebens­welten und mit den unter­schied­lichsten Bedürfnissen zu erreichen und zu integrieren.

Ein behüteter Schatz mit großem öffentlichem und auch inter­na­tio­nalem Interesse ist die Kirche in Poster­stein. Durch einen enormen zeit­lichen Einsatz werden hier buchbare Führungen ange­boten. Die Ehren­amt­lichen, die sich hierzu eine fach­liche Expertise ange­eignet haben, haben somit bis zu 8000 Besucher pro Jahr direkt ange­sprochen. Inzwi­schen ist auch eine Online-Führung möglich, was in dieser Qualität fast ein Novum in Deutschland sein dürfte.

Das agile und kosten­be­wusste Handeln der Akteure im Gemein­de­kir­chenrat bringt der Gemeinde einen enormen Zukunfts­vor­sprung der seines Gleichen sucht. So betei­ligte man sich erfolg­reich an der EU-Ausschreibung WiFi4EU für ein freies W‑LAN – kosten­fi­nan­ziert von der EU.

Auch wurden in der Vergan­genheit mehrfach Mittel aus dem Landes­haushalt für unter­schied­lichste Projekte generiert.

Mich inter­es­siert noch, welche Hoffnung die Akteure des Erpro­bungs­raumes in Ihre Projekte für die Zukunft hegen.

  • Ein großes Augenmerk liegt hier in dem Erleben von christ­licher Gemein­schaft, eine gute Zusam­men­arbeit, nicht nur von Christen, sondern von allen Menschen dieser Region, die Interesse haben und sich Zeit nehmen für Gott.
  • Die Anstren­gungen der letzten Jahre sollen nach­haltige Früchte tragen, von denen die kommenden Gene­ra­tionen profi­tieren können. Menschen die die Gele­genheit wahr­nehmen, an dieser gelebten Nach­bar­schaft teil­zu­haben, könnten so zum Glauben finden.
  • Eine Hoffnung, die unmit­telbar mit dem Fortführen der Erfolgs­ge­schichte des Erpro­bungs­raumes verbunden ist, ist die Klärung der Nach­folge von Frau Opitz, die in der nächsten Zeit in den wohl­ver­dienten Ruhe­stand gehen möchte. Hier wurden schon vielfältige Anstren­gungen unternommen.

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Zum Ende unseres anre­genden Gesprächs möchte ich noch wissen, was in Krisen oder Rückschlägen getragen hat, um nicht aufzu­geben. Hier sind sich alle einig – der Glauben, der über viele Jahre gewachsene Zusam­menhalt und die Zuver­sicht, dass eine Krise auch eine Chance ist und dadurch die Kreativität gefördert.

„Natürlich hängt der Erfolg an den Menschen, die Ideen haben und diese auch kraftvoll umsetzen. Aber entscheidend ist, dass es die Menschen sind, die hier vor Ort ihre Zukunft sehen, die hier wohnen und hier Ihre Heimat haben. Es sind die gewach­senen Bezie­hungen die tragen, wie ein großes Fundament. Wir sind ein erfah­renes, Team – handlungsfähig, selbst­be­wusst. Wir können mit Wut, Enttäuschung und den Narben umgehen. Wir gehen unseren Weg. Wir machen das nicht für irgend­je­manden, wir machen das für Jesus.“

„Wir werden auch denen dran­bleiben, die wir bisher nicht erreichen konnten, auch im Kirchen­kreis und der ganzen Region. Koope­ra­tionen bringen Nutzen für alle – Wir sind Nachbarn!“

Hier ist es nicht DIE EINE IDEE, es ist ALLES, es ist das Gesamt­paket aus den Menschen vor Ort, die sich für Ihre Gemeinden enga­gieren, dem Bewusstsein für die eigenen Schätze und dem Behüten dieser, es ist das christ­liche Menschenbild und der Glaube an Jesus. Ich bin mir sicher – Hier geht Kirche weiter!

Wir verab­reden uns für den Herbst. Ich komme gerne wieder. Ich habe mich anstecken lassen, bin begeistert von der Energie, das Brennen für ihre kleine Gemeinde. Hier möchte man gerne dazugehören. Ich frage mich, ob es nur daran liegt, dass ich mich so schnell begeistern lasse?

Und wenn schon – ich lasse mich gerne von Jesus begeistern, von Menschen, die neue Wege gehen, um IHM nach­zu­folgen. Was kann es für die Orga­ni­sation Kirche besseres geben?!

Ich weiß, hier ist Gott gerne dabei!

Sandra Pries, April 2023

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